(Auch als H\u00f6rprobe<\/a> verf\u00fcgbar)<\/p>\n

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Inmitten g\u00e4hnender Dunkelheit brannte ein Licht in die k\u00fcnstliche Nacht der Stadt. Wie eine Laterne str\u00f6mte es aus einem weit entfernten Raum, der hoch \u00fcber den K\u00f6pfen der Menschen ragte. Dieser Raum befand sich in einem achteckigen Hochhaus, dessen W\u00e4nde fast vollst\u00e4ndig aus Fensterfassaden bestanden. Von der Stra\u00dfe aus war unklar, aus welchem Stockwerk das Licht kam, aber es war definitiv eine hohe Etage.<\/p>\n

Viele Menschen tummelten sich dort in einem Saal, der speziell f\u00fcr besondere Feierlichkeiten reserviert war. Die Herren trugen festliche Anz\u00fcge, die Damen ausgefallene Kleidern der unterschiedlichsten Farben und Formen. Die Vorh\u00e4nge vor den Fenstern waren nicht verschlossen, damit jeder, der jetzt auf den Stra\u00dfen unterwegs war, Zeuge davon sein konnte, dass heute ein feierlicher Anlass stattfand, bei dem weite Teile der Oberschicht anwesend waren.<\/p>\n

Da waren B\u00fcrgermeister Donalds und Polizeichef Johnson, die Presse, einige gut verdienende Vertreter der hochrangigen Aufsichtsbeh\u00f6rde des Polizeiapparats sowie direkte Kolleginnen und Kollegen der Person, der diese Feierlichkeit galt.<\/p>\n

Das war Dina Ashley, die Frau, die trotz ihres jungen Alters von 33 Jahren zur Abteilungsleiterin der Spezialeinheit bef\u00f6rdert wurde.<\/p>\n

Das organisierte Verbrechen, Terrorismus, Geiselnahmen besonderer Pers\u00f6nlichkeiten: All diese Unruheherde hatte Dina in den letzten f\u00fcnf Jahren bek\u00e4mpft und ausgeschaltet. Ihre Vorgesetzten waren \u00fcberaus zufrieden mit ihrer Arbeit gewesen. Der heutige Abend schenkte Dina f\u00fcr etwa zehn Minuten ihres Lebens die Aufmerksamkeit vieler ber\u00fchmter Menschen.<\/p>\n

Inzwischen aber k\u00fcmmerten sich die meisten wieder um die Pflege ihrer Kontakte. Der B\u00fcrgermeister verkehrte mit dem Polizeichef, der Aufsichtsrat stand in einem eigenen Gr\u00fcppchen etwas abseits an einer Fensterwand, die Pressevertreter tranken an der Bar auf Kosten des Hauses und die Kolleginnen und Kollegen von der Spezialeinheit hielten Gespr\u00e4che untereinander oder tanzten. Der offizielle Teil sollte eigentlich in einen gem\u00fctlichen Tanzabend \u00fcbergehen, von dem im Moment aber nur wenige Gebrauch machten.<\/p>\n

Dina stand nach einem Tanz mit Alex, ihrem langj\u00e4hrigen Partner, in der Menschenmenge, ein Glas Sekt in ihrer Hand. Sie trug ein gelbes Kleid, das eng um ihre H\u00fcfte geschnitten war und nur eine Schulter verdeckte. Ihre schwarzen Haare, f\u00fcr gew\u00f6hnlich knapp \u00fcber schulterlang, waren hochgesteckt. Als ein Kellner vorbeilief, stellte sie ihr leeres Glas auf dem Tablett ab, das er mit sich spazieren trug.<\/p>\n

Ihr Blick wanderte \u00fcber das Menschenmeer, in dem sie schwamm. Gefangen zwischen Herrschaften, die sich inzwischen kaum noch f\u00fcr sie interessierten, stie\u00df sie einen leisen, verzweifelten Seufzer aus und wollte sich gerade wieder in Richtung Bar bewegen, als ein Mann ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, der deutlich aus der Menge herausstach.<\/p>\n

Er stand etwa drei Meter von ihr entfernt und sah sie direkt an, was sie schon im ersten Augenblick irritiert hatte. Er trug einen schwarzen Anzug und auch sein Hemd und seine Schleife waren schwarz. Da auch seine Haare schwarz waren, kam es Dina fast vor, als ob seine Augen sie ebenfalls mit einem finsteren Blick durchbohrten. Sie hatte diesen Mann heute Abend noch nicht gesehen. Sie hatte diesen Mann in den letzten 14 Jahren nicht gesehen. Noch brachte Dina kein Wort heraus, betrachtete nur den Schatten, der vor ihr stand und den niemand sonst hier zu registrieren schien.<\/p>\n

\u201eDina.\u201c, sagte er in ausgeglichener Lautst\u00e4rke, mit einer klaren Stimme, nicht rau, nicht \u00fcberm\u00e4\u00dfig hoch oder tief und dabei wanderte ein selbstgef\u00e4lliges Grinsen \u00fcber seine blassen Lippen.<\/p>\n

\u201eWas tust du hier?\u201c, fragte sie leise, fast fl\u00fcsternd, sodass es niemand sonst h\u00e4tte wahrnehmen k\u00f6nnen und sollen, und ihre Stimme zitterte dabei.<\/p>\n

Ein falsches Wort, eine un\u00fcberlegte Bemerkung, Reaktion, Aussage, ein unkontrolliertes Zucken mit den Augenlidern und die Seifenblase ihres Traumes w\u00fcrde platzen. Sie f\u00fchlte sich, als wanderte sie auf einem d\u00fcnnen Faden \u00fcber einen Abgrund und auf der anderen Seite stand dieser Mann und drehte den Griff einer Schere l\u00e4ssig \u00fcber seinen Zeigefinger.<\/p>\n

\u201eVerdammt, was soll das?\u201c, zischte sie.<\/p>\n

\u201eSei nicht sauer, Dina. Nicht nach so langer Zeit. Ich freue mich, dich zu sehen. Und ich freue mich, dass du so weit gekommen bist. Ohne mich.\u201c<\/p>\n

Sie starrte ihn verzweifelt an. Er konnte nicht. Er durfte nicht. Nicht ein Wort.<\/p>\n

\u201eTanz mit mir.\u201c<\/p>\n

\u201eWas? Wie bitte?\u201c, fragte sie und starrte ihn fassungslos an.<\/p>\n

\u201eIst das nicht ein Tanzabend?\u201c<\/p>\n

Er lachte kurz und laut und Dina bekam eine G\u00e4nsehaut, weil sie bef\u00fcrchtete, jemand k\u00f6nnte ihn doch noch bemerken, sich zu ihnen gesellen und von ihr verlangen, dass sie diesen Mann vorstellte.<\/p>\n

Mehr gezwungen als gewollt ging sie auf ihn zu, legte ihre Hand in seine und ber\u00fchrte mit der anderen seine Schulter. Der Anzug f\u00fchlte sich teurer an als eines ihrer zuk\u00fcnftigen Monatsgeh\u00e4lter.<\/p>\n

\u201eWarum bist du heute hier, Jack?\u201c, fragte sie erneut, diesmal etwas beruhigter. Ob das daran lag, dass sie sich in seinen Armen geborgener f\u00fchlte? Unm\u00f6glich, dachte sie, das war immerhin 14 Jahre her.<\/p>\n

\u201eIch will einen letzten Tanz mit dir.\u201c<\/p>\n

\u201eWas soll das hei\u00dfen?\u201c<\/p>\n

\u201eErinnerst du dich an den Tag, an dem wir getrennte Wege gingen? Wir waren zwar nicht mehr zusammen, aber das Band zwischen uns bestand noch immer. Zu manchen Zeiten konnte ich nicht weitergehen, weil es mich unentwegt in deine Richtung gezerrt hat. Aber letztlich habe ich es ohne dich geschafft. Ich habe mehr erreicht als du in den letzten 14 Jahren.\u201c<\/p>\n

\u201eJack. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich habe in den letzten 14 Jahren mehr Gerechtigkeit walten lassen, als du dein ganzes Leben vollbringen wirst.\u201c<\/p>\n

Jack grinste. \u201eDina.\u201c, mahnte er sie in einem am\u00fcsierten Ton. Erst jetzt bemerkte sie, wie blutunterlaufenen seine Augen waren, die nun, von Augenringen umgeben, nahezu krankhaft auf sie herabblickten. \u201eEs ist ungerecht, so etwas zu sagen. Immerhin habe ich viel vor in n\u00e4chster Zeit. Deshalb will ich noch ein letztes Mal mit dir tanzen. Um Abschied zu nehmen. Um diese ganze Schei\u00dfe hinter mir zu lassen.\u201c<\/p>\n

\u201eKomm zur Sache, Jack!\u201c, zischte Dina und versuchte abgekl\u00e4rt zu wirken, doch in Wahrheit lief ihr ein Schauder \u00fcber den R\u00fccken.<\/p>\n

\u201eDie Menschen haben sich immer noch nicht ge\u00e4ndert. Du hast viel gearbeitet innerhalb dieses ganzen korrupten Apparates, aber sie wirtschaften immer noch auf Kosten der kleinen Leute in die eigene Tasche. Du wei\u00dft das. Du wei\u00dft das genau. Du wei\u00dft das und unternimmst nichts<\/em> dagegen.\u201c<\/p>\n

\u201eJack, ich-\u201c<\/p>\n

\u201eDu unternimmst nichts dagegen, weil du nichts unternehmen KANNST!\u201c<\/p>\n

Dina erschrak f\u00fcrchterlich, als er das letzte Wort in aggressiver Lautst\u00e4rke sprach, aber es hatte sich niemand zu ihnen herumgedreht. Jack war ein Schatten und gleichzeitig so pr\u00e4sent f\u00fcr sie wie niemand anderes in diesem Raum.<\/p>\n

\u201eEs wird Zeit.\u201c, sagte Jack, blickte kurz \u00fcber ihren Kopf hinweg und zwinkerte. Als Dina \u00fcber ihre Schulter sah, konnte sie niemand besonderen erkennen.<\/p>\n

\u201eJack, was soll das? Was hast du gerade getan?\u201c<\/p>\n

\u201eEntspann dich. Tanz nochmal mit mir, bevor-\u201c<\/p>\n

\u201eBevor was?\u201c, fragte Dina alarmiert.<\/p>\n

Jack schmiegte sich enger an sie, legte sein Gesicht gegen ihres und schloss die Augen. Dinas Herz raste vor Aufregung. Sie konnte nicht sagen, ob sie mehr Angst vor ihm hatte, als sie ihn liebte. Langsam schob er sein Gesicht vor ihres, durchbohrte ihre Augen mit einem paralysierenden Blick und k\u00fcsste sie. Dann stie\u00df er Dina von sich und ging wieder zwei Meter von ihr weg. Einen Moment lang starrte sie ihn an und bemerkte, dass er dort stand, wo sie ihn vor ein paar Minuten erkannt hatte. Seine Hand glitt in die Tasche seines Sakkos und holte etwas hervor, das gerade so in seine Handfl\u00e4che passte. Wie ein kleiner Kugelschreiber oder-<\/p>\n

\u201eLeb wohl, Dina.\u201c<\/p>\n

Dina wurde kreidebleich, als Jack den Z\u00fcnder dr\u00fcckte und eine Vibration den Boden ersch\u00fctterte, die nicht mehr aufh\u00f6ren wollte, sondern immer intensiver wurde. Dann donnerte es \u00fcber ihren K\u00f6pfen. Die Menschen gerieten in Panik und rannten wild herum. Dinas Blick war immer noch auf Jack gerichtet, der unver\u00e4ndert vor ihr stand und ihr ein Grinsen der Genugtuung zuwarf.<\/p>\n

Diabolisch. Befriedigt. Verspielt.<\/p>\n

Dann drehte er sich um und rannte durch die Menge, als inmitten der Menschen Sprengs\u00e4tze aktiviert wurden und Flammen durch den runden Raum schossen, der Dina, gefangen zwischen Feuer und Rauch, pl\u00f6tzlich viel kleiner vorkam. W\u00fctend fuhr ihre Hand unter ihr Kleid und befreite die Handfeuerwaffe aus dem Holster, das an ihrem Oberschenkel angebracht war.<\/p>\n

\u201eSTOP!\u201c<\/p>\n

Einige Leute drehten sich zu ihr um, andere rannten verzweifelt in Richtung des Aufzugs und des Treppenhauses. Dina war klar, dass Jack die unteren Stockwerke gesprengt hatte. Sie versuchte, seine Spur zwischen all den Menschen zu verfolgen, aber mit den Leuten, an denen Jack vorbei glitt wie ein Schatten, stie\u00df sie zusammen. Ihr war klar, dass dort, wo Jack hinrannte, der Ausgang aus dieser H\u00f6lle war. Und er rannte Richtung Fenster.<\/p>\n

Ist er verr\u00fcckt? Was hat er vor?<\/em>, dachte Dina und beobachtete aus der Ferne, wie Jack ein weiteres Mal auf den Z\u00fcnder dr\u00fcckte. Eine Explosion in der N\u00e4he der Fenster zerriss die Fassade und Scherben schossen wie Pfeile in die Menschenmenge. Da drau\u00dfen kein Wind herrschte, weil nie Wind aufkommen konnte, wurde der Brand nicht weiter gesch\u00fcrt. Aber Jack rannte auf das zerst\u00f6rte Fenster zu. Dina hatte ihn noch nicht aus den Augen verloren, hatte ihn fast erreicht, als sie erkannte, wie Jack einen Fallschirm hinter den Vorh\u00e4ngen hervorholte und ihn sich auf den R\u00fccken schnallte.<\/p>\n

\u201eNEIN! STEHEN BLEIBEN!\u201c, br\u00fcllte sie und hob die Waffe in seine Richtung<\/p>\n

Jack machte keine Anstalten, sich umzudrehen. Er wusste, dass sie ihm nicht in den R\u00fccken schie\u00dfen w\u00fcrde. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihr einen letzten Blick \u00fcber die Schulter zuzuwerfen, aber er entschied sich dagegen und sprang in dem Moment, als Dina ihn fast erreicht hatte.<\/p>\n

Sie sah ihm nach und musste w\u00fctend mit ansehen, wie er im finsteren Abgrund verschwand. Als sich Dina umdrehte und einen Weg durch das Flammenmeer suchen wollte, der sie etwa 40 Stockwerke nach unten bringen konnte, ohne sie zu t\u00f6ten, brach die Decke \u00fcber ihren K\u00f6pfen zusammen.<\/p>\n

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(c) Julian Jungermann<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

(Auch als H\u00f6rprobe verf\u00fcgbar)   Inmitten g\u00e4hnender Dunkelheit brannte ein Licht in die k\u00fcnstliche Nacht der Stadt. Wie eine Laterne str\u00f6mte es aus einem weit entfernten Raum, der hoch \u00fcber den K\u00f6pfen der Menschen ragte. Dieser Raum befand sich in einem achteckigen Hochhaus, dessen W\u00e4nde fast vollst\u00e4ndig aus Fensterfassaden bestanden. Von der Stra\u00dfe aus war […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"parent":195,"menu_order":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","template":"","meta":[],"yoast_head":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\t\n\t\n\t\n