<\/p>\n

Er hatte die Vorh\u00e4nge gestern Abend nicht zugezogen, damit ihn die Sonne wecken konnte, sobald sie sich \u00fcber den Rand des Horizontes recken und in sein nach Osten gerichtetes Fenster strahlen w\u00fcrde. Den Rucksack hatte er schon abends gepackt, um beim Packen nicht zu viel L\u00e4rm zu machen \u2013 immerhin wollte er nicht entdeckt werden. Darin befanden sich eine d\u00fcnne Decke, ein Paar Ersatzunterw\u00e4sche, ein Handspaten aus der Ger\u00e4teh\u00fctte seines Vaters, einige in Stofft\u00fccher gewickelte Brote und ein Kompass.<\/p>\n

Er schl\u00fcpfte aus dem Bett, zog sein Nachthemd aus und zw\u00e4ngte sich ein helles Oberteil \u00fcber, das einmal wei\u00df gewesen, nun aber gr\u00e4ulich verwaschen war. Dann schl\u00fcpfte er in eine braune, etwas weiter als knielange Stoffhose, die er mit einer Kordel enger an seine H\u00fcfte schn\u00fcren musste, weil sie ihm ein wenig zu weit war. Fr\u00fcher hatte sie ihm einmal gepasst. Zuletzt schl\u00fcpfte er in die Sandalen, die sein Vater f\u00fcr ihn gemacht hatte, schnappte seinen Rucksack und verlie\u00df sein Zimmer. Leise huschte er am Zimmer seiner Eltern vorbei, die knarzige Treppe hinunter und verlie\u00df das Haus, ohne gefr\u00fchst\u00fcckt zu haben. Jede Sekunde, die er zu lange in diesem Haus verbrachte, erweckte die Angst in ihm, entdeckt werden zu k\u00f6nnen.<\/p>\n

So tappte er mit leerem Magen \u00fcber die staubigen Wege seines Dorfes durch die angenehm k\u00fchle Morgenluft, rieb sich das letzte bisschen Schlaf aus den Augen und sp\u00fcrte mit Befriedigung das bescheidene Gewicht seines Rucksacks auf seinem R\u00fccken. Nachdem er das letzte Haus hinter sich gelassen hatte und einen Grash\u00fcgel hinauf gelaufen war, blickte L\u00e9on auf die goldenen Felder, die sich bis zum Horizont erstreckten. Die Sonne hatte den Horizont gerade \u00fcberragt und tr\u00e4nkte die Landschaft in ein strahlendes Licht, als wollte sie ihm den Weg weisen. L\u00e9on f\u00fchlte sich vom Wind ergriffen und hatte das Gef\u00fchl, als trug er ihn von alleine den H\u00fcgel hinunter durch das vom Tau noch feuchte Gras. Auch wenn seine F\u00fc\u00dfe in den Sandalen nass wurden, lief er jenseits des Weges durch das Gras und genoss die belebende Frische. Ihm war, als w\u00fcrde er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich aufatmen k\u00f6nnen.<\/p>\n

L\u00e9on f\u00fchlte sich frei.<\/p>\n

Er begann zu rennen, sodass er das Kitzeln des Grases nicht mehr sp\u00fcrte, hastete durch die Felder, hob seine Arme in die Luft und sah so lange in die Sonne, bis seine Augen wehtaten.<\/p>\n

War es das, was sie Freiheit<\/em> nannten?<\/p>\n

Wohin er wollte, wusste er noch nicht. Vielleicht zum Horizont. Nur weg aus diesem Dorf. Weit weg. Er wollte die Welt sehen, Leute kennenlernen, Abenteuer erleben. Ja, L\u00e9on war vom heutigen Tag an ein Abenteurer.<\/p>\n

Als ihm zu kalt um die F\u00fc\u00dfe herum wurde, kehrte er zur\u00fcck auf den befestigten Weg und trottete weiter. Nach einer Stunde waren sie zwar fast v\u00f6llig durchgefroren, aber die sich immer h\u00f6her streckende Sonne w\u00e4rmte sie nach und nach auf. Lange bevor sie hoch am Himmel stand, knurrte L\u00e9ons Magen. Trotz seines Hungers zwang er sich noch eine Weile zu laufen \u2013 immerhin hatte er sich nur drei belegte Brote eingepackt und die sollten eine Weile halten. Was war er auch f\u00fcr ein Abenteurer, wenn er sich von ein bisschen Magenknurren einkriegen lie\u00df?<\/p>\n

Eine weitere Stunde trabte er auf dem Weg entlang, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Als seine F\u00fc\u00dfe begannen weh zu tun, hockte er sich mitten auf den Weg und a\u00df ein Butterbrot. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, in welche Richtung er ging, noch wie lange seine Vorr\u00e4te reichen w\u00fcrden. Aber er f\u00fchlte sich gro\u00dfartig. Das war es, was er schon immer hatte tun wollen: Seine eigenen Entscheidungen treffen, eigenverantwortlich sein, frei<\/em> sein. Egal ob das, was er tat, sinnvoll war oder nicht. Allein die Tatsache, dass er selbst dar\u00fcber entscheiden konnte, gefiel ihm unglaublich gut.<\/p>\n

Nachdem er gegessen hatte, stand er auf und lief weiter. Seine F\u00fc\u00dfe f\u00fchlten sich ungeheuer schwer an, aber das k\u00fcmmerte ihn nicht. Der Schmerz zeigte ihm, dass er dabei war, sein Ziel zu erreichen. Je schwerer seine Beine wurden, je heftiger seine Muskeln schmerzten, desto angespornter war er. Und dennoch war er heilfroh, nach drei Stunden zu Fu\u00df endlich das n\u00e4chste Dorf erreicht zu haben.<\/p>\n

Zun\u00e4chst schien es nicht viele Unterschiede zwischen seinem Heimatdorf und jenem zu geben, das er soeben erreicht hatte, was L\u00e9on ein wenig entt\u00e4uschte. Die H\u00e4user waren ebenso aus Holz gebaut, nur wenige waren zweist\u00f6ckig. Auch die Menschen sahen \u00e4hnlich wie die aus, die in seinem Dorf lebten. Was ihn aber am meisten besch\u00e4ftigte: Es war nicht mal Mittag und ein Magen knurrte schon wieder. L\u00e9on wusste genau, dass er nicht schon wieder ein Butterbrot essen konnte. Er hatte noch einen weiten Weg vor sich, da musste er sich die Vorr\u00e4te, die er hatte, gut einteilen.<\/p>\n

\u201eWo kommst du denn her, mein Liebling?\u201c, h\u00f6rte er pl\u00f6tzlich eine heitere Frauenstimme hinter sich. Die Dame trug ein wei\u00dfes Tuch um den Kopf und hatte eine dunkelbraune Kutte an, die etwas verlumpt aussah. Trotzdem sah die Frau sehr freundlich aus.<\/p>\n

\u201eIch komme von weit her.\u201c, sagte L\u00e9on knapp.<\/p>\n

\u201eSo, so.\u201c, schmunzelte sie. \u201eUnd wie alt bist du?\u201c<\/p>\n

\u201eAlt genug.\u201c<\/p>\n

\u201eDu siehst mir aus wie mein S\u00f6hnchen, der ist zw\u00f6lf Jahre alt.\u201c<\/p>\n

L\u00e9on runzelte beleidigt die Stirn. Er hatte nicht gedacht, dass die junge Frau ihn so schnell h\u00e4tte entlarven k\u00f6nnen. \u201eIch bin ein Abenteurer.\u201c, schnaubte er etwas beleidigt. \u201eDas Alter spielt keine Rolle!\u201c<\/p>\n

\u201eEin Abenteurer! Die sind wirklich selten heutzutage!\u201c, rief sie verwundert, aber L\u00e9on bemerkte, dass sie sich \u00fcber ihn lustig machte. Eigentlich hatte er die Frau freundlich eingesch\u00e4tzt, schon allein weil sie so h\u00fcbsch war. Nun aber wollte er das Gespr\u00e4ch lieber wieder beenden.<\/p>\n

\u201eIch muss weiter.\u201c, sagte er knapp.<\/p>\n

\u201eWohin willst du denn, mein Lieber?\u201c<\/p>\n

\u201eZum Horizont.\u201c, schnaubte er und lie\u00df die Frau stehen.<\/p>\n

\u201eDann noch viel Gl\u00fcck!\u201c, rief sie ihm hinterher.<\/p>\n

L\u00e9on wusste, dass er so nicht weiterkam. Er war schon recht m\u00fcde und w\u00fcrde heute nicht mehr lange laufen k\u00f6nnen. Es war am besten, wenn er sich ein Rasthaus zum \u00dcbernachten suchte. Er stoppte abrupt und drehte sich um. Die Frau schaute ihm immer noch nach.<\/p>\n

\u201eK\u00f6nnt Ihr mir sagen, wo ich ein Rasthaus finde?\u201c<\/p>\n

Sie sah ihn verwundert an, dann schenkte sie ihm ein L\u00e4cheln, was ihn ein wenig \u00e4rgerlich machte. \u201eNoch ein St\u00fcckchen weiter die Stra\u00dfe entlang. Auf der linken Seite, kurz vor dem Dorfausgang, findest du eines.\u201c<\/p>\n

\u201eIch danke Euch.\u201c, stammelte er und versuchte dabei, so erwachsen wie m\u00f6glich zu klingen. Umso w\u00fctender machte es ihn, als er die junge Frau hinter ihm am\u00fcsiert kichern h\u00f6rte. Die Erwachsenen taten immer so herablassend. So hatte er sie kennengelernt. Ver\u00e4ndert schienen sie sich nicht zu haben, auch wenn er schon mehrere Stunden von zu Hause entfernt war. Es dauerte nicht lange, da hatte er das Rasthaus erreicht und trat ein. L\u00e9on ignorierte den Mann am Tresen zun\u00e4chst und sah sich um. Der Empfangsraum war ziemlich mickrig. Er hatte sich ein Rasthaus f\u00fcr Abenteurer immer gr\u00f6\u00dfer vorgestellt. Links vom Empfangstisch f\u00fchrte eine Treppe nach oben, das Zimmer rechterhand erkannte er als Speiseraum.<\/p>\n

\u201eKann ich etwas f\u00fcr dich tun, junger Mann?\u201c, fragte der Verantwortliche f\u00fcr die Zimmervermietung. Er sah nicht viel \u00e4lter aus als L\u00e9ons Vater, aber wesentlich freundlicher. Er hatte braunes, gelocktes Haar und einen Schn\u00e4uzer, was ihn sympathisch machte. Er war weder zu dick noch zu d\u00fcnn und trug eine braune Weste \u00fcber seinem hellen Oberteil. Das einzige, was L\u00e9on an ihm st\u00f6rte, war seine Anrede.<\/p>\n

\u201eIch bin kein junger Mann, sondern ein Abenteurer.\u201c, schnaubte er. \u201eUnd ich h\u00e4tte gerne ein Zimmer, wenn Ihr noch eines frei habt.\u201c<\/p>\n

\u201eNun.\u201c, \u00fcberlegte der freundlich wirkende Herr. \u201eFreie Zimmer habe ich in der Tat. Aber habt Ihr denn Geld, junger Abenteurer<\/em>?\u201c<\/p>\n

Als er das Wort \u201aGeld\u2018 h\u00f6rte, \u00fcberlief L\u00e9on ein Schauer. Daran hatte er beim besten Willen nicht gedacht. Nat\u00fcrlich hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, von seinen Eltern etwas Geld f\u00fcr die Reise zu borgen, aber fragen hatte er sie ja nicht k\u00f6nnen und ein Dieb wollte er auch nicht sein. Dass man, um in einem Rasthaus \u00fcbernachten zu k\u00f6nnen, Geld brauchte, war ihm v\u00f6llig entfallen. Ein bisschen sch\u00e4mte er sich daf\u00fcr, entschied sich aber, dem Herren gegen\u00fcber standhaft zu bleiben.<\/p>\n

\u201eIch f\u00fcrchte, dass ich in letzter Zeit keine Auftr\u00e4ge mehr an Land holen konnte.\u201c, begann L\u00e9on und versuchte dabei, so verst\u00e4ndlich wie m\u00f6glich zu klingen, aber seine Stimme zitterte ein wenig, wodurch nicht mehr als ein Stottern aus seinen Worten wurde. Sein Gebrabbel wurde von dem Quietschen der sich \u00f6ffnenden T\u00fcr unterbrochen und ein \u00e4lterer, graub\u00e4rtiger Mann trat ein.<\/p>\n

\u201eAh, guten Morgen, Mika.\u201c, begr\u00fc\u00dfte der Herr hinter dem Empfangstisch den Alten.<\/p>\n

\u201eMorgen, Thomas. Ich h\u00e4tte gerne ein Fr\u00fchst\u00fcck.\u201c<\/p>\n

\u201eAber nat\u00fcrlich. Was darf\u2019s denn sein?\u201c<\/p>\n

\u201eR\u00fchrei, eine Scheibe Butterbrot und eine Tasse Kaffee.\u201c<\/p>\n

\u201eKommt sofort. Nimm doch Platz.\u201c<\/p>\n

Der Alte schlich an L\u00e9on vorbei und setzte sich auf einen der freien Tische im Speiseraum. Anscheinend konnte man hier auch etwas essen, ohne \u00fcbernachten zu m\u00fcssen. Wenn L\u00e9on Gl\u00fcck hatte, konnte er vielleicht seine Vorr\u00e4te aufstocken. Das Hauptproblem bestand allerdings immer noch.<\/p>\n

\u201eJunger Mann, ich f\u00fcrchte, dass ich dir ohne Bezahlung weder ein Zimmer noch ein Fr\u00fchst\u00fcck servieren kann.\u201c<\/p>\n

L\u00e9on kniff beleidigt die Lippen aufeinander. Er hatte gedacht, dass man Abenteurern freundlicher begegnen w\u00fcrde. Als ihm die Ideen ausgingen, er aber lieber sterben wollte, als den Heimweg anzutreten, entschied er sich daf\u00fcr, zu motzen.<\/p>\n

\u201eIch bleibe hier so lange stehen, bis Ihr mir ein Zimmer gebt.\u201c<\/p>\n

Der Mann, der Thomas hie\u00df, schaute ihn mit gro\u00dfen Augen an, sagte dann \u201eTu dir keinen Zwang an\u201c und ging in den Speisesaal, um dem Alten sein Fr\u00fchst\u00fcck zu machen. L\u00e9on lugte nach nebenan und sah, wie Thomas durch eine T\u00fcr in die K\u00fcche verschwand. Der Alte starrte ihn etwas grimmig an.<\/p>\n

\u201eWas machst du da, Junge?\u201c<\/p>\n

\u201eGar nichts.\u201c, brummte L\u00e9on und wandte sich ab.<\/p>\n

\u201eWo kommst du her?\u201c<\/p>\n

\u201eVon weit her.\u201c<\/p>\n

\u201eAha.\u201c, schnaubte der Alte und behielt ihn weiter im Auge. \u201eAusgerissen, was?\u201c<\/p>\n

\u201eSo ein Unsinn!\u201c, rief L\u00e9on und versuchte dabei, so erwachsen zu klingen wie m\u00f6glich. \u201eIch bin ein Abenteurer.\u201c<\/p>\n

\u201eAbenteurer?\u201c, fragte Mika und lachte herzhaft auf. \u201eWie hei\u00dft du, Junge?\u201c<\/p>\n

\u201eL\u00e9on.\u201c<\/p>\n

\u201eIch bin Mika. Setz dich mal hierher.\u201c<\/p>\n

Z\u00f6gerlich tappte L\u00e9on auf den Tisch zu und setzte sich an den verbleibenden Stuhl.<\/p>\n

\u201eAlso dann, L\u00e9on von weit her<\/em>, wo gedenkst du, heute Nacht zu bleiben, wenn du weder Geld noch Proviant hast?\u201c<\/p>\n

\u201eIch habe sehr wohl Proviant! Zwei Butterbrote sind noch \u00fcbrig!\u201c, rief L\u00e9on emp\u00f6rt und der Alte begann erneut zu lachen.<\/p>\n

\u201eEntschuldige. Ich scheine dich untersch\u00e4tzt zu haben.\u201c<\/p>\n

Nach einiger Zeit der Stimme kam Thomas mit dem Fr\u00fchst\u00fcck. Mika erkannte, wie L\u00e9on begierig den Teller anstarrte.<\/p>\n

\u201eThomas, bring dem Bengel das Gleiche. Ich komme f\u00fcr die Kosten auf.\u201c<\/p>\n

\u201eAber Mika.\u201c, seufzte Thomas. \u201eVon dir kann ich kein Geld verlangen.\u201c<\/p>\n

\u201eDann schick ich ihn sp\u00e4ter zum Teller waschen.\u201c<\/p>\n

\u201eDas ist ein anst\u00e4ndiges Angebot.\u201c, lachte Thomas und verschwand wieder in der K\u00fcche. L\u00e9on sah Mika eine Weile beleidigt an.<\/p>\n

\u201eIch brauche Euer Mitleid nicht.\u201c<\/p>\n

\u201eUnd du brauchst mich nicht so hochgestochen anreden, Junge. Du kannst heute Nacht bei mir bleiben. Aber morgen verschwindest du nach Hause.\u201c<\/p>\n

L\u00e9on sah den Alten einen Moment lang mit Erstaunen an, weil er damit kaum gerechnet hatte. Dann aber setzte er wieder seinen skeptischen Blick auf und tat so, als w\u00e4re er von Mikas Worten nie \u00fcberrascht gewesen.<\/p>\n

\u201eWarum musst du eigentlich nichts bezahlen?\u201c<\/p>\n

\u201eIch war fr\u00fcher einmal Lehrer in dieser Gemeinde.\u201c<\/p>\n

\u201eUnd Lehrer m\u00fcssen nichts bezahlen?\u201c<\/p>\n

\u201eSie haben \u00fcber lange Jahre hinweg einen gro\u00dfen Dienst f\u00fcr die Gemeinde getan. Was ist eigentlich mit dir, Junge? Musst du nicht in die Schule?\u201c<\/p>\n

\u201eDort, wo ich herkomme, gibt es keine Schule.\u201c, brummte L\u00e9on etwas besch\u00e4mt. Als er geh\u00f6rt hatte, dass dieses Dorf eine Schule besa\u00df, wurde er sofort neidisch auf die Kinder. Er hatte schon von Schulen geh\u00f6rt und wollte schon immer einmal eine besuchen.<\/p>\n

\u201eKeine Schule? Dann kommst du ja wirklich von sehr weit her.\u201c<\/p>\n

\u201eMachst du dich \u00fcber mich lustig?\u201c<\/p>\n

\u201eNein, das ist nicht meine Absicht.\u201c, entschuldigte sich Mika mit mildem Ton. \u201eIch finde es nur etwas traurig.\u201c<\/p>\n

\u201eEs l\u00e4sst sich nicht \u00e4ndern.\u201c, seufzte L\u00e9on und versuchte dabei wie ein weiser Mann zu klingen. \u201eDie wahre Schule ist das Leben selbst.\u201c<\/p>\n

Da lachte Mika laut auf, was L\u00e9on ziemlich w\u00fctend machte.<\/p>\n

\u201eWas ist daran falsch?\u201c<\/p>\n

\u201eGar nichts! Entschuldige, Junge!\u201c, kicherte er und versuchte, seinen Atem wieder zu erlangen. \u201eDu hast vollkommen Recht.\u201c<\/p>\n

Da kam der zweite Teller und L\u00e9on begann zu essen. Er bemerkte gar nicht, wie er das Essen herunterschlang, aber Mika beobachtete ihn mit Interesse dabei.<\/p>\n

\u201eDu scheinst m\u00e4chtig Hunger zu haben.\u201c<\/p>\n

\u201eIch habe einen langen Weg hinter mir.\u201c, brabbelte L\u00e9on mit vollem Mund und nahm einen Schluck von der Milch, die ihm anstelle des Kaffees gebracht worden war.<\/p>\n

\u201eNat\u00fcrlich.\u201c, l\u00e4chelte Mika und a\u00df langsam an seinem Fr\u00fchst\u00fcck weiter. Obwohl er einen gewissen Vorsprung hatte, war L\u00e9on fr\u00fcher fertig als er. Nach dem Essen bedeutete Mika ihm, mitzukommen. Die beiden liefen wieder ein St\u00fcckchen zur\u00fcck in die Dorfmitte und bogen dann in einen kleinen Weg am Rand ein, der zwischen den H\u00e4usern aus dem Dorf hinaus f\u00fchrte. Nach nur wenigen Metern waren sie an einer vom Dorf etwas abgegrenzten, einst\u00f6ckigen Holzh\u00fctte im Gr\u00fcnen angekommen. Vor dem Haus befand sich ein Holzpflock, in dem eine Axt steckte und drei Baumst\u00e4mme, die in einem Dreieck auf der Wiese lagen. Als L\u00e9on das Gebilde eine Weile betrachtete, erkl\u00e4rte Mika, dass er fr\u00fcher im Sommer hier seine Unterrichtsstunden abgehalten hatte. Etwa zehn Sch\u00fcler sa\u00dfen auf den St\u00e4mmen und lauschten seiner Lehre. Im Winter waren sie in der H\u00fctte bei einem Feuerchen. Mitunter wurde es zwar ein bisschen eng, aber insgesamt waren es sch\u00f6ne Zeiten gewesen, an die sich Mika gerne zur\u00fcckerinnerte.<\/p>\n

\u201eWas hast du den Kindern beigebracht?\u201c, fragte L\u00e9on neugierig, als sie auf einem der St\u00e4mme sa\u00dfen.<\/p>\n

\u201eZum Beispiel lesen, schreiben, rechnen, zaubern,-\u201c<\/p>\n

\u201eZaubern?\u201c<\/p>\n

\u201eNat\u00fcrlich nur die Grundlagen.\u201c<\/p>\n

L\u00e9on starrte ihn mit gro\u00dfen Augen an und dachte f\u00fcr eine Weile, er habe sich verh\u00f6rt. Dann blickte Mika ungl\u00e4ubig auf ihn herab, was ihm etwas unangenehm war.<\/p>\n

\u201eSag mir nicht, dass du nicht zumindest die Grundlagen von Einspeisung und Extraktion beherrschst? Wie alt bist du denn eigentlich?\u201c<\/p>\n

\u201eIch habe so etwas nie gelernt.\u201c, wich L\u00e9on der letzten Frage aus.<\/p>\n

\u201eUnd du nennst dich einen Abenteurer?\u201c, fragte Mika zweifelnd und sch\u00fcttelte den Kopf. \u201eIch frag mich immer noch, von wie <\/em>weit her du wirklich kommst.\u201c<\/p>\n

\u201eIch sagte es doch bereits: In unserem Dorf gab es keine Schule, in der ich etwas lernen konnte und niemand hat mir so was beigebracht wie-\u201c, Leon stockte und \u00fcberlegte einen Moment angestrengt, \u201eEx-\u2026Ex-\u201c<\/p>\n

\u201eExtraktion und Einspeisung.\u201c, vollendete Mika. \u201eDas ist doch nicht wahr. Zumindest die Grundlagen beherrscht doch heutzutage jeder!\u201c<\/p>\n

\u201eDann bring sie mir bei.\u201c, forderte L\u00e9on den Alten auf. Seine herablassende Art machte ihn langsam echt sauer, zumal er sich dadurch wirklich dumm vorkam.<\/p>\n

\u201eBist du noch ganz bei Trost? Das dauert seine Zeit.\u201c<\/p>\n

\u201eDas ist nat\u00fcrlich etwas problematisch.\u201c, \u00fcberlegte L\u00e9on angestrengt. \u201eImmerhin habe ich einen engen Zeitplan und muss schon bald wieder aufbrechen.\u201c<\/p>\n

\u201eWohin willst du eigentlich?\u201c<\/p>\n

\u201eZum Horizont.\u201c<\/p>\n

\u201eHerrje.\u201c, st\u00f6hnte Mika genervt und rieb sich ersch\u00f6pft die Stirn.<\/p>\n

\u201eEs m\u00fcssten auch nur ein paar Erkl\u00e4rungen sein. Ich kann mir den Rest ja selbst beibringen, w\u00e4hrend ich auf der Reise bin.\u201c, versuchte L\u00e9on erneut, Mika zu \u00fcberzeugen.<\/p>\n

\u201eDu stellst dir das ja echt leicht vor.\u201c, seufzte Mika, schmunzelte denn resignierend und sch\u00fcttelte den Kopf. \u201eIch gebe auf. Nachdem du Thomas beim Sp\u00fclen geholfen hast, erkl\u00e4re ich dir ein paar Dinge.\u201c<\/p>\n

\u201eGro\u00dfartig.\u201c, sagte L\u00e9on zufrieden und sprang auf. \u201eDann ist es abgemacht. Wo geht es noch mal lang?\u201c<\/p>\n

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(c) Julian Jungermann<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

  Er hatte die Vorh\u00e4nge gestern Abend nicht zugezogen, damit ihn die Sonne wecken konnte, sobald sie sich \u00fcber den Rand des Horizontes recken und in sein nach Osten gerichtetes Fenster strahlen w\u00fcrde. Den Rucksack hatte er schon abends gepackt, um beim Packen nicht zu viel L\u00e4rm zu machen \u2013 immerhin wollte er nicht entdeckt […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"parent":151,"menu_order":1,"comment_status":"open","ping_status":"open","template":"","meta":[],"yoast_head":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\t\n\t\n\t\n